<26>nigt zu haben. Die Zeitgenossen können sie dieses Mordes weder beschuldigen noch davon freisprechen; denn es lassen sich so geheimnisvoll verborgene Einzelheiten aus der Entfernung nicht ergründen und auch nicht erörtern.

Um zu verhindern, daß der König abermals der Regierung überdrüssig würde, fesselte sie ihn durch fortwährende Kriegsunternehmungen an den Thron. Bald ging es gegen die Barbaresken, bald gegen England oder Österreich. Der Stolz eines Spartaners, die Hartnäckigkeit eines Engländers, italienische Schlauheit und französische Lebhaftigkeit vereinigten sich im Charakter dieser eigenartigen Frau. Sie schritt kühn zur Verwirklichung ihrer Pläne; nichts überraschte sie; nichts konnte sie stutzig machen.

Der seinerzeit so berühmte Kardinal Alberoni, der lange unter ihr arbeitete, war ihr geistig sehr ähnlich. Die Verschwörung des Fürsten Cellamare stürzte ihn. Die Königin mußte ihn des Landes verweisen, um die Rachsucht des Herzogs von Orleans, des Regenten von Frankreich, zu befriedigen1. Ein geborener Holländer namens Ripperda nahm seinen wichtigen Platz ein; er besaß Verstand, aber seine Unterschleife waren schuld daran, daß er sich nicht lange halten konnte2. Diese Ministerwechsel wurden im Lande jedoch kaum bemerkt, denn die Minister waren nur Werkzeuge in der Hand der Königin, und immer war es ihr Wille, der die Geschäfte leitete.

Im Jahre 1735 hatte Spanien den italienischen Krieg glorreich beendigt. Don Carlos, den die Engländer als den Erben des Giovanni Gaston, des letzten Herzogs aus dem Hause Medici, nach Toskana geführt hatten, war König von Neapel geworden, und Toskana erhielt Franz von Lothringen zur Entschädigung für sein Stammland, das der französischen Monarchie einverleibt ward3. Auf diese Weise wurden dieselben Engländer, die so erbittert gegen die Erhebung Philipps V. auf den spanischen Thron gekämpft hatten, die Förderer der spanischen Macht in Italien. So sehr ändert sich die Politik, und so wandelbar sind die Gedanken der Menschen!

Die Spanier sind in Europa nicht so reich, wie sie sein könnten, weil sie arbeitsscheu sind. Die Schätze der Neuen Welt sind für die fremden Nationen da, die unter spanischem Namen ihren Handel an sich gerissen haben. Franzosen, Holländer und Engländer haben den eigentlichen Genuß von Peru und Mexiko. Spanien ist zum Stapelplatz geworden, von dem die Reichtümer ausfließen; die Geschicktesten ziehen das meiste an sich. Spanien hat nicht Einwohner genug zur Bebauung des Landes; die Verwaltung ist vernachlässigt, und der Aberglaube drückt dieses von Natur reichbegabte Volk auf die Stufe halbbarbarischer Nationen herab. Der König hat


1 Alberoni plante, mit Hilfe des spanischen Botschafters in Paris, Fürst Cellamare, nach Gefangennahme des Regenten, Herzog Philipp von Orleans, König Philipp V. zum Vormund Ludwigs XV. zu proklamieren. Am 5. Dezember 1719 erfolgte sein Sturz.

2 Er wurde 1726 entlassen.

3 Der Infant Don Carlos, Sohn König Philipps V. aus seiner Ehe mit Elisabeth Farnese, war 1718 zum Nachfolger des letzten Herzogs von Toskana bestimmt. Er wurde 1734 König beider Sizilien, mußte indessen 1735 Toskana an Herzog Franz Stephan von Lothringen abtreten (vgl. S. 5) und bestieg 1759 als Karl III. den spanischen Thron.